Thema des Monats Juni/Juli 2018: "Wolfsburg ohne Kirchen geplant! Wolfsburg ohne Kirchen? Wirklich? - Prägen Kirchen und kirchliche Gebäude noch Stadtbilder? - Die Kirche im Dorf lassen?"
Der Autor dieses Artikels, Manfred Wille, hat von 1973 bis 1979 Gegraphie, Sport (Leibesübungen) und evangelische Religion an der Technischen Universität "Carolo Wilhelmina" in Braunschweig studiert. Im Rahmen seines Geographie-Studiums hat er sich besonders mit Religionsgeographie beschäftigt und sich auch 1977 in seiner Examensarbeit "Die Verteilung der Konfessionen in Wolfsburg - Wolfsburg in den Grenzen von 1972" - also vor der Gebietsreform - mit dieser Thematik auseinandergesetzt. Er hat in der Evangelischen Zeitung, den Wolfsburger Nachrichten und der Wolfsburger Allgemeinen Zeitung schon zu verschiedenen religionsgeographischen und religionsstatistischen Aspekten zahlreiche Artikel mit vielen Graphiken und Bildern veröffentlicht.
Auf der Internetseite des Christlichen Vereins Junger Menschen (CVJM) Wolfsburg www.cvjm-wolfsburg.de gibt es auch einen Artikel "Die Seele einfach einmal baumeln lassen: Gottesdienstbesuche in Wolfsburg und auf Reisen in Deutschland und in der Welt" hier klicken. Vielleicht ist das Thema des Monats auch ein kleiner Anstoss, wieder einmal zum Gottesdienst zu gehen!
In der Literatur, bei Reden und sogar bei einem Fernseh-Gottesdienst wurde und wird immer wieder betont, dass „Wolfsburg ohne Kirchen geplant“ gewesen sei. Stimmt dies so?
Wolfsburg wurde während der Regierungzeit der Nationalsozialisten unter Adolf Hitler als „Stadt des KdF-Wagens“ geplant. (KdF bedeutet „Kraft durch Freude“.) Häufig wird auch geschrieben „Stadt bei Fallersleben“ wie auch „Stadt aus wilder Wurzel“ oder „Stadt auf grüner Wiese“. 1937 erhielt die DAF (Deutsche Arbeitsfront) den Auftrag, den Bau einer Produktionsstätte für Volkswagen in die Wege zu leiten, am 17. Januar 1938 wurde der Raum bei Fallersleben als Standort gewählt, am 26. Mai 1938 (Himmelfahrt) war Grundstein-Legung und ab dem 1. Juli 1938 nach der Stadtgründung entstand auf dem Grund und Boden der Dörfer Heßlingen und Rothehof/Rothenfelde und des Gutsbezirks Wolfsburg die "Stadt des KDF-Wagens“. Der Name „Wolfsburg“ wurde erst nach dem Zweiten Weltkrieg in der ersten Sitzung der durch die britische Militärregierung eingesetzten Stadtverordnetenversammlung am 25. Mai 1945 beschlossen. Für den Namen „Wolfsburg“ soll die britische Gewohnheit Pate gestanden haben, Orte nach den benachbarten Adelssitzen zu benennen.
Auf dem oben beschriebenen Gebiet gab es schon zwei Kirchen: Die St. Annen-Kirche, deren ältester romanischer Teil um 1250 erbaut worden sein soll, und die St. Marien-Kirche, die am 17. Juni 1434 durch den Halberstädter Bischof geweiht und dreimal wiederaufgebaut und mehrmals, dem Zeitgeist entsprechend, umgebaut und renoviert wurde. Nur zur Vollständigkeit: Laut des Gemeindebuches der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde ist 1324 von einer außerhalb der Wolfsburger Burg gelegenen Kirche bezeugt. Wo sie gestanden haben soll, war zum Zeitpunkt der Examensarbeit nicht bekannt.
Aus dem oben beschriebenen Grund erscheint es
schwierig zu sagen, dass die „Stadt des KdF-Wagens“ (später Wolfsburg) ohne Kirchen geplant gewesen sei. Es kann also nur gesagt werden, dass die „Stadt des KdF-Wagens“ ohne Kirchen-Neubauten
geplant gewesen sein könnte. Und was sind Planungen? Wünsche von Kirchen? Von Stadtplanern? Von Bewohnern? Von Politikern? Eine Skizze? Ein Plan? Ein beschlossener Plan? Gab es also Planungen für
eine Kirche? Was sind Kirchen? Was sind Kirchenraeume? Was sind kirchliche Gebaeude?
Der damalige Stadtplaner, Professor Peter Koller, hat am
21. Mai 1977 in einem Brief mir mitgeteilt, dass sowohl eine evangelische und eine katholische Kirche im Plan ausgewiesen waren – für die evangelische Kirche unterhalb der Stadtkrone im
Nordwesten. Den Standort der katholischen Kirche teilte er mir nicht mit. Der damalige Stadtarchiv Dr. Klaus-Jörg Siegfried schrieb im Buch "Dokumente zur Kirchenplanung in der Stadt des
KdF-Wagens" 1979 sogar von vier Kirchen. Gewünschten? Geplanten?
Durch eine Verfügung von Adolf Hitler vom 31.
Juli 1940 soll jeglicher Kirchen-Neubau verboten worden sein. Es wird auch davon geschrieben, dass schon zuvor eine Weisung ergangen sein soll. Diese sollte aber geheim bleiben.
Die damalige Wohnbevölkerung der "Stadt des KdF-Wagens" wird aber in irgendeiner Art und Weise ihren Glauben gelebt haben. Ein ausdrucksvolles Zeugnis hat dafür der damalige katholische
Geistliche Antonius Holling gegeben, mit dem ich auch ausführlich über die damalige Zeit gesprochen habe. So kamen Anfang des Krieges 2000 bis 3000 Italiener als sokgenannte "Gastarbeiter" mit
ihrem eigenen Priester. Auch Zwangsarbeiter, KZ-Häftlinge, Kriegsgefangene, Deserteure und weitere Unfreiwillig im Volkswagenwerk Lebende und Arbeitende werden ihren Glauben in irgendeiner Form
gelebt haben.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde bei den beiden Volkskirchen der Hauptteil der kirchlichen Arbeit in Baracken durchgeführt. Die beiden ersten Kirchen sind die am 12. August 1951 geweihte katholische Christophorus-Kirche und die am 30. September 1951 geweihte evangelisch-lutherische Christuskirche. Und dann ging es Schlag auf Schlag. Auch die Freikirchen bauten sich in Wolfsburg zahlreiche Gotteshäuser. Durch die Gebietsreform kamen dann noch viele Kirchen in den beiden neuen Stadtteilen Fallersleben und Vorsfelde und Ortsteilen hinzu. Durch die Gebietsreform entstand auch die Situation, dass Wolfsburg zu zwei evangelisch-lutherischen Landeskirche gehört: Der Hannoverschen Landeskirche und der Landeskirche Braunschweig.
In dieser Zeit wurden Kirchen und kirchliche Gebäude fest im Stadtbild verankert. Aber nicht nur Kirchen. Das Diakonische Werk Wolfsburg e.V. und die Caritas wuchsen und prägten mit ihren Gebäuden wie dem Emmausheim, dem Hanns-Lillje-Heim und dem St.Elisabeth-Heim das Stadtbild von Wolfsburg. Nicht unerwähnt bleiben soll, dass in anderen Ländern/Staaten Kirchen sogar auf dem Ortsschild zu sehen sind wie in Gedser/Dänemark.
In den letzten Jahren mussten aber einige Kirche geschlossen und verkauft werden. Es begann zum Beispiel mit dem Verkauf des Küsterhauses neben der St. Marien vor gefühlt 40 Jahren. In den letzten Jahren gab es allerdings größere Einschnitte wie die (katholische) St. Elisabeth-Kirche in Westhagen, die (katholische) St. Heinrichs-Kirche, die (katholische) St. Joseps-Kriche, die (evangelisch-lutherische) Industriediakonie „Arche“, das (evangelisch-lutherische) Kirchenkreisamt, das (evangelisch-lutherische) St. Marien-Gemeindezentrum … Teilweise wurden diese Gebäude aber wieder einer kirchlichen Nutzung zugeführt, zum Beispiel die St. Joseps-Kirche wurde Heimat der evangelisch-lutherischen Christus-Brüder-Gemeinde (zum Einweihfest hier klicken). Und Freikirchen haben in Wolfsburg einige Kirchen an verschiedenen Plätzen gebaut, die sehr sichtbar sind und somit einen hohen Erkennungswert haben. Der Stadtteil Westhagen hat einen hohen Anteil an Kirchbauten.
Ich erinnere mich in diesem Zusammenhang noch an
eine Untersuchung zur Zeit der Examensarbeit aus der katholischen Kirche, die besagt, dass je weiter der Fahrtweg zu einer Kirche ist, desto geringer ist der Gottesdienst-Besuch. Aber vielleicht
würde heute der hohe Grad der Motorisierung der (katholischen) Bevölkerung zu einem anderen Ergebnis führen? Die Evangelische Kirche Deutschlands setzte sich in den siebziger Jahren in ihrer
Untersuchung „Wie stabil ist die Kirche?“ mit der kirchlichen Situation und Kirchenaustritten intensiv auseinander, mit dem Ergebnis "Wir haben alles im Griff". Sind die Erkenntnisse von damals
eingetreten? 1998 kommt das Allensbacher Institut zu dem Ergebnis, dass Kirchen den Glauben kaum vermitteln können. In der Presse war jetzt zu lesen (WAZ vom 1. Juni 2018), dass die Landeskirche
Hannover im Winter Kirchen wegen der hohen Energiekosten („Aktion zum Klimaschutz“) schließen wolle. Und 20% der kirchlichen Gebäude sollen verkauft werden, nach Meinung von Landeskirchen-Bischof
Ralf Meister „diejenigen Gebäude, die nicht direkt für die Gemeindearbeit genutzt werden“ (ebenda). Ist dies sinnvoll!? 1977, zur Zeit meiner Examensarbeit, war es damals so, dass bei sechs von
sieben kleineren Konfessionen ein Zusammenhang zwischen dem Gotteshaus und der Anzahl der Mitglieder in der Umgebung bestand. Und der Volksmund sagt in einem anderem Zusammenhang "die Kirche im
Dorf lassen".
Vielleicht hat das Lesen dieses Artikels das Ergebnis, wieder einmal in einen Gottesdienst am Sonntag zu gehen!
Wichtig ist noch, dass durch die Veränderung der Bevölkerung in Wolfsburg es jetzt natürlich auch Gotteshäuser von anderen Religionsgemeinschaften gibt, zum Beispiel das Islamische Kulturzentrum hier klicken.
Bei der Erarbeitung dieses Artikel haben mir das
Institut
für Zeitgeschichte und Stadtpräsentation (IZS) (zu meiner Zeit noch Stadtarchiv) und die Stadtbibliothek geholfen. Vielleicht auch ein Grund, dort vorzuschauen. Damals, als ich noch
Student war, haben mir Herr Professor Koller, Herr Professor Dr. Beuermann und Oberstudiendirektor im Hochschuldienst Ernst-Rüdiger Voigt (Geographische Institut an der Technischen Universität in
Braunschweig), Herr Kahl (Neuland), das Amt für Statistik und Wahlen, das Volkswagenwerk, VW-Wohnungsbau, die meistern Konfessionen und Herr Jürgen Knaack vom evangelisch-lutherischen
Kirchenkreisamt geholfen. DANKE! Beim Verfassen des Artikels habe ich auf Daten und Formulierungen meiner Examensarbeit zurückgegriffen.