Thema des Monats September 2017: "Christlich-diakonische Schule in Madrid in Spanien: Vor 120 Jahren wurde das evangelische Gymnasium "El Porvenir" eröffnet - "die Zukunft" - Gründer-Ehepaar Jeannie und Fritz Fliedner - vielen jungen Menschen geholfen - Fliedner-Stiftung-Madrid sammelt Geld - viele Wolfsburger sind schon in die Schule gefahren
Das Thema des Monats ist diesmal die Fliedner-Stiftung für schulisch-diakonische Arbeit in Madrid. Die Autorin Bettina Zöckler, die Quellen der deutschen und spanischen Fliedner-Stiftung bei der Erarbeitung des Artikels benutzt hat, hat für lange Zeit in der Schule „El Porvenir“ (die Zukunft) und an anderen evangelisch-diakonischen Bereichen in Madrid gearbeitet und ist eine profunde Kennerin dieser wichtigen und segensreichen Arbeit. Der Christliche Verein Junger Menschen (CVJM) Wolfsburg ist in den achtziger und neunziger Jahren mit Jugendgruppen mit Unterstützung des spanischen CVJM (Alianza Cristiana de Jovenes de la YMCA de ESPAÑA - ACJ) und er VW-Sportförderung/VW-Sportkommunikation nach Madrid gefahren. In den letzten Jahren sind einzelne CVJM-Mitglieder in die spanische Hauptstadt geflogen. Bei vielen Aktionen hat der CVJM Geld für die dortige soziale Arbeit in Madrid gesammelt.
Informationen zur Fliedner-Stiftung im Internet www.fliedner-stiftung-madrid.de und in Spanien www.fliedner.es
Die Fliednerstiftung in Madrid wird vom "Verein zur Förderung der Stiftung Federico Fliedner" mit Sitz in Deutschland unterstützt und partnerschaftlich begleitet. Der Vorstand dieses Vereins setzt sich wie folgt zusammen:
- 1. Vorsitzender Dr. Wolfgang Otto, Telefon 05221/81197, E-Mail: dr-wolfgang-otto@t-online.de
- 2. Vorsitzender Rainer Karstens
- Schatzmeister Michael Albrecht
- Schriftführer Volker Thiedemann
- Beisitzerin Gunhilde Hecker
- Beisitzer Dr. Norbert Friedrich
- Beisitzerin Bettina Zöckler
Für Madrid-Liebhaber ist noch eine Bildergalerie von einigen
sehenswerten Wahrzeichen der spanischen Hauptstadt angefügt.
Reformation in Europa – im Westen nichts Neues?
Die äußersten Punkte im Westen auf dem Europäischen Stationenweg, den man auf www.r2017.org finden kann, sind Genf, Rom und Dublin. Und weiter westlich? Die katholische Bastion Spanien? Der in der evangelischen Verlagsanstalt neu erschienene Titel "Europa Reformata 1517/2017" enthält immerhin ein Kapitel über Dr. Egidio, Mitglied einer evangelischen Gemeinde und Märtyrer der Reformation (+1556). Auf dem Umschlag hört die Landkarte zwar vor den Pyrenäen auf, aber immerhin berichten zehn von 504 Seiten aus dem Reich der Inquisition. In Spanien gibt es ca. 1 % Protestanten, die auf eine Reformationsgeschichte im 16. Jahrhundert zurückblicken. Das Gemeindeleben war über 300 Jahre durch die Inquisition unterbrochen. Erst im 19. Jahrhundert konnten neue Gemeinden entstehen und an alte Traditionen gedanklich anknüpfen. Im 16. Jahrhundert hatte der spanische König Karl I (V. von Deutschland) seine Gelehrten angehalten, deutsch zu lernen, um in Worms gegen Luther zu argumentieren. Einige von ihnen konvertierten daraufhin zum Protestantismus und gründeten in Sevilla und Valladolid Gemeinden, deren wenige Mitglieder auf dem Scheiterhaufen oder im Exil landeten. Die Inquisition wütete bis 1832. Aufgrund einer freiheitlichen Verfassung entstanden 1869 wieder erste Gemeinden. Über diese sog. 2. Reformation gibt es relativ wenig Bibliografie, aber viel lebendige Geschichte. Die Fliednerstiftung, entstanden im 19. Jahrhundert, zeugt bis heute davon.
Die spanische Verfassung von 1868 gab auch den evangelischen Christen in Spanien die Möglichkeit, ihren Glauben zu leben. 1869 reiste Fritz Fliedner nach Spanien. Auf dieser Reise lernte er die spanischen Pfarrer Francisco de Paula Ruet und Antonio Carrasco kennen. Sie waren die Führer der entstehenden evangelischen Bewegung in Spanien. Zurück in Deutschland warb Fritz Fliedner in vielen Veranstaltungen um Unterstützung für die Evangelischen in Spanien. Am 10.07.1870 erhielt Fritz Fliedner vom "Verband zur Förderung des Evangeliums in Spanien" das Angebot, als ständiger Vertreter des Verbandes nach Spanien zu gehen. Nach kurzer Bedenkzeit gab er am 23.07.1870 seine Zusage. Nach seiner Ordination am 17.08.1870 in der evangelischen Kirche in der Bolkerstraße zu Düsseldorf reiste er nach Spanien und nahm am 09.11.1870 in Madrid seine Arbeit auf.
Seine Aufgabe war die Unterstützung der evangelischen Bewegung in Spanien. In den mehr als dreißig Jahren seiner Tätigkeit gründete er Schulen (4 Grundschulen in Madrid, 11 in den Provinzen), ein Waisenhaus und ein Krankenhaus. Vor allem betreute er die spanischen Gemeinden. 1871 tagte in Sevilla die erste evangelische Synode unter maßgeblicher Beteiligung von Fritz Fliedner. 1899 fand die erste Synode der Iglesia Evangelica Espanola (IEE) unter seinem Vorsitz statt. Die Verbreitung evangelischer Schriften und seine schriftstellerische Tätigkeit dienten der evangelischen Sache in Spanien. 1873 gründete er eine evangelische Buchhandlung mit Verlag, die noch heute existiert (Libreria Calatrava). Herausgegeben wurden unter anderem Schulbücher, Erzählungen und erbauliche Schriften, aber auch Zeitschriften zum Beispiel für Kinder ("El Amigo de Infancia" seit 1874) und Erwachsene ("Revista Christiana" seit 1880). Fritz Fliedner übersetzte deutsche Kirchenlieder und schrieb eine Lutherbiographie. Am 31.10.1897 konnte er das evangelische Gymnasium "El Porvenir" eröffnen. Fritz Fliedner starb am 25.04.1901 in Madrid, seine Frau Jeannie am 05.02.1919. Beide wurden in Madrid beigesetzt.
Aufgrund der Verfassung von 1978 sowie durch das Gesetz zur Durchführung der Religionsfreiheit aus dem Jahre 1980 gibt es in Spanien keine Staatsreligion mehr. Alle Glaubensbekenntnisse sind gleichgestellt. Die Verfassung schützt auch die Freiheit, keine religiöse Überzeugung zu haben. Nur zweimal in der Geschichte Spaniens, nach der Revolution von 1868 gegen Isabella II., sowie nach 1931 hatte es für jeweils nur wenige Jahre Religionsfreiheit gegeben. Nach dem Sieg Francos im spanischen Bürgerkrieg war in Fuero von 1945 festgelegt worden, dass der spanische Staat seinem Wesen nach katholisch sei (Artikel 6). Dieses Grundgesetz wurde durch die neue Verfassung aufgehoben. Dadurch konnten die kleinen, verstreuten, teils im Untergrund lebenden spanischen evangelischen Gruppen in der spanischen Öffentlichkeit als evangelische Gemeinden hervortreten. Mit dem Beitritt Spaniens zur Europäischen Gemeinschaft 1986 und der damit eingeleiteten weiteren Öffnung und Annäherung Spaniens an Europa suchten auch diese kleinen evangelischen Gemeinden nach Jahren der Isolierung verstärkt Kontakt zu den Kirchen der Reformation im übrigen Europa.
Diese evangelischen Gemeinden verstehen sich aus der sogenannten "2. Reformation" in Spanien in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Der Niederländer Klaus van der Grijp hat in seinem
umfangreichen Werk "Geschichte des spanischen Protestantismus im 19.Jahrhundert" die Geschichte dieser evangelischen Bewegungen geschrieben. Zentren sind bis heute die Jesuskirche in der Calle
Calatrava, die Buchhandlung Calatrava sowie das Colegio "El Porvenir" in Madrid, gegründet im 19.Jahrhundert von Francisco de Paula Ruet und Fritz Fliedner.
In dem
Selbstverständnis der spanisch evangelischen Gemeinden als Bewegung der "2. Reformation" bezieht sich der spanische Protestantismus ausdrücklich auf die "1. Reformation" im 16.Jahrhundert in den
evangelischen Kreisen in Sevilla und Valladolid und knüpft an deren geistlich theologisches Erbe an. Nicht zufällig sind die theologischen Werke, die "Reformistas Antiguos Españoles", unter
anderem von Juan de Valdes, Constantino Ponce de la Fuente, Perez de Pineda, im Colegio "El Porvenir" gesammelt und über die schweren Zeiten der Verfolgung gerettet worden.
Die Stadt Camuñas in der Provinz Toledo würdigt die Arbeit Fritz Fliedners und des Fliednerwerks. Der Kulturdezernent der Kleinstadt organisierte am 14./15. Mai 2017 eine Reihe von Vorträgen und eine Ausstellung. Dafür trat er an die Fliednerstiftung in Madrid heran, denn Fritz Fliedner hat nicht nur in der Hauptstadt, sondern in vielen kleineren Ortschaften, so auch hier, Bildungs- und Evangelisationsarbeit betrieben. Die Gemeinden und Schulen haben zur Alphabetisierung beigetragen. Die Stadt Camuñas organisierte diese Tage unter dem Motto “Dankbarkeit gegenüber der Evangelischen Mission“, die im Ort von 1870 bis 1975 wirksam war. Das Kulturzentrum der Stadt, das sich im jetzt renovierten Gebäude der ehemals von Fritz Fliedner errichteten Grundschule befindet, wurde nach ihm benannt und eine entsprechende Gedenktafel feierlich enthüllt. Die Archivarin der Fliednerstiftung, Toñi Manzaneque, und die Leiterin der Schule für junge Frauen, dem „Instituto Internacional“ in Madrid, Pilar Piñon, hielten Vorträge über Camuñas und seine weitreichende Bildungsarbeit. Aus dem Fliedner-Archiv stammen auch viele Fotos und Dokumente für die Ausstellung „Ein Jahrhundert unter uns“ über die Wirkung des Fliednerwerks in diesem Dorf. Weitere Vorträge hielten Daniel Casado über die Fliednersche Bildungsarbeit sowie die in Camuñas geborene Sozialpädagogin Begoña Consuegra über die Reichweite von Theodor Fliedners Kaiserswerther Sozialarbeit.
Dass die spanische Öffentlichkeit auf die evangelische Fliedner-Stiftung aufmerksam wird, liegt sicher auch daran, dass diese sich an den Feierlichkeiten zum 500. Gedenken der Reformation aktiv und kompetent beteiligt und dabei auch professionelle und institutionelle Unterstützung unter anderem von der Universität erhält. Aber bereits 2001, anlässlich des 100. Gedenken von Fritz Fliedners Todestag, reagierte die Öffentlichkeit: In der Kleinstadt El Escorial, in der auch das sogenannte achte Weltwunder, der Klosterpalast Philipp II. steht, und in dem Fliedner ein Anwesen für seine diakonische Arbeit erwarb und die dortigen historischen Gebäude restaurierte, gibt es seither eine Fritz-Fliedner-Straße.
Im August 2017 wurde nun ein weiterer evangelischer Pfarrer mit einer eigenen Straße geehrt. Joseph Viliesid, jüdischer Herkunft, war im Exil in Gibraltar evangelisch geworden und hat ab jetzt seine Straße in Jerez de la Frontera, in Andalusien, wo er als Pfarrer wirkte. Er war der Vater von Fritz Fliedners Schwiegertochter Anita, verheiratet mit Georg Fliedner.
Eine spanische Briefmarke mit dem Titelbild der Bärenbibel,übersetzt von Casiodoro de Reina aus dem 16. Jahrhundert, wird es allerdings voraussichtlich nicht geben. 117 evangelische Institutionen sowie zahlreiche Einzelpersonen hatten schon im September 2015 bei der staatlichen Münz- und Briefmarkenstelle den Antrag eingereicht, werden aber mit fadenscheinigen Argumenten vertröstet. Das Titelbild zeigt einen Bären, der sich nach frischem Honig streckt.
Der bayrische Drucker Matthias Apiarius hat das Bild gesetzt, denn die Bibel ist im Exil in Deutschland, dem Land der Reformation, gedruckt worden, wohin Reina vor der Inquisition geflohen war. Auch im Madrider Stadtwappen streckt sich ein Bär am Baumstamm – in diesem Fall nach den Früchten des Erdbeerbaums madroño. In Brasilien dagegen wurde eine Luther-Briefmarke gedruckt, in Kooperation und mit demselben Entwurf wie die der Deutschen Post.
Nach ihrem Leitbild ist die Federico-Fliedner-Stiftung in Madrid diakonisch vor allen in folgenden Bereichen tätig:
- Bildung für Kinder und Jugendliche bereits ab dem ersten Lebensjahr in den Gesamtschulen El Porvenir und Juan de Valde
- Bildung für Erwachsene mit der Ausrichtung Erziehung, Diakonie und Theologie für eigene Mitarbeiter und Dritte. Die Umsetzung erfolgt durch das Campus Fliedner mit folgenden Einrichtungen Libreria Calatrava (Buchhandlung), Fliednerarchiv, Sprachenschule, theologische Fakultät (SEUT) mit dem Studentenwohnheim Ponce de la Fuente, der Laienfortbildungsstätte Taller Teologico und dem Forum Ciencia y Fe (Wissenschaft und Glaube)
- Unterstützung von Bedürftigen durch Stipendien, Programme mit ideellen Angeboten, Finanzierung und Durchführung von diakonischen Projekten, die soziale Not lindern und die Bildung der Persönlichkeit fördern.
Sie ist eine Einrichtung, die die Arbeit, die ihr Gründer Fritz Fliedner seit seiner Ankunft in Spanien 1870 begann. Derzeit gibt es drei Hauptarbeitsbereiche:
- Die Bildungsarbeit: in zwei Schulen (Ganztagsgesamtschulen El Porvenir4 und Juan de Valdes5) werden 2200 Schüler im Alter von 0 bis 18 bzw. Von 0 bis 16 Jahren unterrichtet.
- Fortbildung und Verbreitung: durch die Theol. Fakultät SEUT und die dazugehörigen Zentren (“Wissenschaft und Glaube” sowie “Theologiewerkstatt”) und durch die Buchhand-lung “Calatrava” sowie den Verlag “Fliedner Editionen”.
- Die diakonische Arbeit: sie wird umgesetzt durch Hilfen, die den Familien der Schüler unserer Schulen auf der Basis von sogenannten Stipendienprogrammen (nach Bedarf zugeteilt, nicht nach Qualifikation), die die Fundacion verwaltet.
Außerdem wird soziale/diakonische Arbeit durch Vortragsreihen, Gesprächsrunden usw. geleistet, zu Themen, die unsere Klientel beunruhigen und soziale Aktualität haben.
Zur Durchführung ihrer Tätigkeiten unterhält die Fundacion verschiedene Abkommen mit der Kommunalregierung Madrid, von der sie subventioniert wird für alle zur allgemeinen Schulpflicht gehörenden Jahrgänge. Außerdem wird die Stifung vom Kuratorium (Patronato) des Kultusministeriums beaufsichtigt.
Darüberhinaus wird ihr eigenes Kuratorium von der Spanischen Evangelischen Kirche (IEE) benannt. Durch die Kirche ist die Fundacion in Verbindung mit internationalen ökumenischen Organismen wie dem ÖRK, dem Reformierten Weltbund, etc. Die Stiftung unterhält darüberhinaus Beziehungen zu anderen Konfessionen auf nationaler Ebene, wie dem Bund Katholischer Schulen oder der Universidad Pontifica de Comillas.
Bettina Zöckler
Meine erste Begegnung mit der evangelischen Schule "El Porvenir" in Madrid im Jahr 1971
Zum ersten Mal hatte ich mit der Schule El Porvenir in Madrid, mit Elfriede Fliedner 1971 in der Karwoche Kontakt bei einer Reise mit dem CVJM Landesverband Hannover und dem CVJM Wennigsen unter der Leitung von Ana-Maria und Jens Mölck. Ich war damals 17 Jahre alt. Wir haben einen Nachmittag für die Kinder in der Schule gestaltet und große Mickey Mouse-Figuren gebastelt, auf die wir Bonbons geklebt hatten. Und dann wieder im Jahr 1987: Wir waren mit einer Jugendgruppe des CVJM Wolfsburg in der spanischen Hauptstadt und besuchten den YMCA/ACJ
Madrid und hatten in der Schule in Klassenräumen unser Quartier. Ich erinnere mich noch, am Ostersonntag regnete es. Doña Elfriede war enttäuscht, das Eiersammeln musste ausfallen. Und die Spiele. Kein Problem für uns! Die Oster-Geschichte wurde in der Kirche erzählt und die Ostereier in einem Klassenraum verteilt. Wir räumten die Bänke aus der Kirche und spielten dort mit dem Fallschirm fast eine Stunde. Die Kinder waren begeistert und doña Elfriede auch – ihre Augen strahlten. Als wir nach Wolfsburg zurückkamen, dachten wir uns, dies kann es nicht gewesen sein. Bei unseren Freizeitvolleyballturnieren in Westhagen und bei Festen auf dem CVJM-Gelände sammelten wir Geld für die Schule. Damals begannen wir mit der Aktion „Geld sammeln bei Sportturnieren“, die von vielen Gruppen und Vereinen jetzt auch durchgeführt werden. Super! Dann fuhren wir jedes Jahr nach Madrid. Und der Fallschirm durfte nicht vergessen werden! Als wir 1995 mit der Fahrradsponsorenrundfahrt für Projekte für Kinder und Jugendliche begannen, war El Porvenir auch ein Projekt. Mit den Gruppenfahrten war 1998 dann Schluss. Privat fahre ich häufig nach Madrid und schaue mir die Schule an. Bei den Sponsorenfahrten sammeln wir immer noch etwas Geld. Mal sehen, wie es weitergeht…
Manfred Wille