Thema des Monats Oktober/November 2015 + Oktober 2020: "Ein Tag der Freude für alle Deutschen": Vor 25 Jahren Einheitsfeiern in Berlin und ganz Deutschland - auch in Wolfsburg - Wolfsburger unter dem Brandenburger Tor - unvergessenes Erlebnis - Was ist aus der deutschen Einheit geworden?
Das Thema des Monats auf unserem Internetauftritt sind diesmal die Einheitsfeiern am 3. Oktober 1990. Es ist der dritte Teil einer Serie zur Deutschen Einheit: Unter dem Titel "Als die Berliner Mauer zusammenbrach": Zeitzeugen berichten - "Grenzenloser Jubel eint die Deutschen" - "ein Wunder der Geschichte" - Paddeltour: "Wir sitzen im selben Boot - in Ost und West" (hier klicken) war im November 2014 der Mauerfall Thema des Monats und „Vor 25 Jahren Paddeln für deutsche Einheit von der Oder zur Elbe - mit bei der Tour dabei: Schülerinnen und Schüler aus Sulingen, Havelberg, Wolfsburg - Motto der Aktion: "Wir sitzen im selben Boot - in Ost und West" (hier klicken) eine Paddeltour von 50 Jungen und Mädchen. Der Artikel mit Fotos ist ein lebhaftes Zeitzeugnis über verschiedene Aspekte beim Zusammenwachsen der beiden Teile Deutschlands nach über 40 Jahren Trennung. Dank für die Unterstützung gilt Dr. Karin Luys vom Wolfsburger Instituts für Zeitgeschichte und Stadtrepräsentation, Eberhard Rohde von der damaligen deutsch-deutschen Arbeitsgruppe und damaliger Redaktionsleiter der Wolfsburger Nachrichten, Carsten Baschin, Redaktionsleiter der Wolfsburger Allgemeinen Zeitung, dem Institut für Zeitgeschichte und StadtrepräsentationInstitut, der Wolfsburger Allgemeinen und Wolfsburger Nachrichten und zahlreichen Personen, die wertvolle Tipps und Hilfen gegeben haben. Und die Fotos können durch Anklicken vergrößert werden.
Auf unserem Internetauftritt gibt es noch einen Artikel zu
Städtepartnerschaft mit Halberstadt unter dem Titel: „25 Jahre Städtepartnerschaft Halberstadt - Wolfsburg: Ausstellungseröffnung über Martin Luther im Rathaus - Paddeln für die deutsche Einheit
- Sportkontakte - christliche Konzerte beim CVJM Halberstadt“ (hier
klicken).
Glockengeläut lud am Tag der Deutschen Einheit, 3. Oktober 1990, jugendliche Tischtennisspieler, Volleyballer und ihre Betreuer aus Havelberg, Sulingen und Wolfsburg zu einem Dankgottesdienst in die Kirche in Havelberg-Schönhausen ein. Die Sozialsportler waren im April und Mai 1990 für acht Tage von der Oder zur Elbe unter dem Motto „Wir sitzen im selben Boot – in Ost und West“ rund 300 Kilometer gepaddelt.
Am Abend zuvor hatten sie – gemeinsam mit Freunden aus Madrid/Spanien – an den Feierlichkeiten zur Deutschen Wiedervereinigung in Berlin teilgenommen. Ein unvergessliches Ereignis!
Freundlich begrüßte Gemeindepfarrer Rainer Richter die jungen Sportler, die bei ihrer Paddeltour häufig in Gemeindehäusern übernachtet und so viel Kontakt mit Pastoren der evangelisch-lutherischen Kirche hatten.
Die Worte von Pastor Richter in der Ansprache und von Gemeindemitgliedern im Freien Gebet stimmten die jungen Menschen sehr nachdenklich. Ein Gemeindemitglied verglich Deutschland dabei mit einem Ehepaar, dass nach 40 Trennung wieder zusammenfindet. Ein anderes Mitglied brachte im Gebet sein Schicksal als politischer Gefangener in Erinnerung.
Nach dem Gottesdienst trafen sich die Volkswagenstädter mit Tischtennisspielern aus
Schönhausen zum sportlichen Vergleich. Das Ergebnis war dabei unwichtig – das gemeinsame Miteinander und der Ausbau von Kontakten zwischen den Menschen aus den neuen und alten Bundesländern stand
im Vordergrund.
Ein kurzer Rückblick: Jahrzehnte des letzten Jahrtausend standen und litten Menschen unter der Teilung Europas (und
der Welt) in Ost und West. Es gab Aufstände in der DDR (1953), Ungarn (1956) und der Tschechoslowakei (1968).
Friedliche Veränderungen im Ostblock wurden Anfang der achtziger Jahre durch die polnische Gewerkschaft Solidarność eingeleitet. In vielen osteuropäischen Staaten kam es nach und nach zu
friedlichen Veränderungen. Bei einem Besuch von Leipzig bei einer Führung durch die Nikolai-Kirche und der Stadtführung durch die Messemetropole wurde deutlich, wie stolz Leipzigerinnen und
Leipziger auf den Einfluss ihrer Heimatstadt durch die Montagsgebete und durch die Montagsdemonstrationen auf die friedlichen Entwicklungen in beiden deutschen Teilen genommen hat. Selbst bei
einem Besuch in den Vereinigten Staaten von Amerika (USA) drückten uns die "Amis" die Daumen für eine friedliche Lösung in Deutschland und Mitteleuropa auf dem Weg zur "Freiheit und Einheit"
(Bundespräsident Joachim Gauck).
Eberhard Rohde beschreibt die Zeit zwischen Mauerfall im November 1989 und Einheitsfeiern 1990 am Beispiel der Wolfsburger Deutsch-Deutschen Arbeitsgruppe. Er war Vorsitzender der Gruppe, der auch Werner Schlimme und Manfred Kolbe angehörten, und damaliger Redaktionsleiter der Wolfsburger Nachrichten (WN).
So war es, das Jahr 1990: Ein Jahr des Wandels, des Neuanfangs, ein Jahr, das in Wolfsburg zu vielen Veränderungen und Begegnungen führte. Alles mündete in dem Höhepunkt des Jahres, dem Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober. An diesen Tag sich heute nach 25 Jahren Jahren zu erinnern, ist aller Deutschen Pflicht.
Feiern war auch damals in Wolfsburg angesagt. Zur Kundgebung auf dem Rathausmarkt kamen Tausende. Und doch war dieser Tag weit entfernt von den turbulenten Tagen des Novembers 1989, da die Mauern und
Stacheldraht-
zäune brachen. Die damalige Euphorie hatte alle ergriffen und alle waren von ihr beherrscht. Im gleichen Frühjahr waren erste Zeichen der Gemeinsamkeit zu erkennen gewesen.
Wolfsburg schloss den Partnerschaftsvertrag mit Halberstadt im Oktober, noch vor Öffnung der innerdeutschen Grenze. Der Rat unter Oberbürgermeister Werner
Schlimme hatte die Initiative ergriffen. Eine Initiative, das soll hier nicht vergessen werden, die von der Deutsch-Deutschen Arbeitsgruppe zuerst ausging, um dann von Rat und Verwaltung
verwirklicht zu werden. Zur Städtepartnerschaft gehörten auch viele gegenseitige Besuche nach der Grenzöffnung.
Als sich Halberstadt im Wolfsburger Rathaus mit einer Bilderschau vorstellte, erinnerte Werner Schlimme auch daran, dass Wolfsburg Wiederaufbauhilfe in
vielerlei Hinsicht leisten wolle. Dazu zählten Wissensvermittlung über die kommunale Arbeit in einem demokratischen Land. Stadtkämmerer Manfred Berenskötter leistete mit einem starken Team
nachhaltige Amtshilfe. Ein Austausch von Beamten schloss sich an.
Auch das Volkswagenwerk stand nicht abseits. Mit dem Polo wurde im Mai 1990 eine Brücke nach Zwickau und Mosel geschlagen. Im Sachsenringwerk des
Industrie-VerbandFahrzeugbau (IFA)-Kombinats Personenkraftwagen in Mosel schlug mit dem Ablauf des ersten Polos eine historische Stunde. „VW hat rechtzeitig für den Motorenbau einen Nagel
eingeschlagen“, sagte damals VW-Vorstand Horst Münzer. Er merkte aber auch an, dass Geduld bei der weiteren Produktion das Gebot der Stunde sei. Der erste Polo landete anschließend im Automuseum
von Zwickau.
In Sachen Verkehr waren die Wolfsburger seit langem stark. Auch auf der Schiene hieß es nun, neue und bessere Verkehrswege zu erschließen. Zum Beispiel
nach und von Stendal, wo damals noch 11.000 Menschen am Bau eines Kernkraftwerkes beschäftigt waren. Eine reine und wohl auch tragische Luftnummer, dieses Kraftwerk. Die Wolfsburger boten gleich
einen besseren Straßenausbau und bessere Schienenverbindungen an. Letztlich ermöglichte es den Altmärkern, Wolfsburg als Einkaufsstadt zu nutzen.
Die Deutsch-Deutsche Arbeitsgruppe sah ihr Ziel mit der deutschen Einheit erreicht. Sie löste sich in diesem Jahr mit der Gewissheit auf, viel zum Zusammenwachsen von beiden deutschen Landesteilen und ihrer Bewohner getan zu haben. Denn die Arbeitsgruppe hatte schon viele Jahre vorher in den 70er Jahren damit begonnen, Kontakte zu den Menschen drüben in der DDR herzustellen und zu fördern. Reisen in die DDR wurden unternommen, Schülergruppen wurden eingeladen, zum ersten Advent ein Lichterbaum an der Grenze vor Oebisfelde aufgestellt. Viele Vorträge über die deutsch-deutsche Fragen wurden in Wolfsburg angeboten. Namhafte Politologen, Wirtschaftsexperten und Historiker kamen in Wolfsburg zu Wort. Ganz allmählich fand die Gruppe, die anfangs als „Rufer in der Wüste zwischen beiden deutschen Staaten“ belächelt wurde, bei den Wolfsburger Kommunalpolitikern Zuspruch und Unterstützung. Ein Spiegelbild im Kleinen vom langen, beschwerlichen Weg bis zur Wiedervereinigung.
Ein guten Einblick auf die Nacht zum 3. Oktober und auf Einheitsfeiern in Wolfsburg gibt Carsten Baschin, damals wie heute Redaktionsleiter der Wolfsburger Allgemeinen Zeitung (WAZ), in seinem Kommentar „Frust und Freibier: Die Nacht der Einheit“ und in verschiedenen Zeitungsartikeln, so zum Beispiel "Großes Volksfest auf dem Rathausplatz - Ein Tag der Freude für alle Deutschen" (siehe Foto - kann vergrößert werden).
Die deutsche Einheit rückt näher, unwiderruflich. Doch in den überfüllten Kneipen des Kaufhofs ist Deutschland in dieser historischen Nacht kein Thema. Die Leute trinken Bier, diskutieren an der Theke über den Fußball-Europa-Pokal, ab und zu knallt draußen ein Böller. Der Fernseher bleibt dunkel, keiner will die Übertragung aus Berlin sehen. Als die Spätschicht bei VW zu Ende ist, wird es noch voller. „Mir ist das hier zu einheitlich“, schimpft ein junger Mann angesichts der schubsenden Menschen und nimmt einen tiefen Schluck aus dem Glas. Frust. Frust statt grenzenloser Freude; um die alsbaldige Vereinigung geht es höchstens in den Nischen, in denen flirtende Paare sitzen.
Draußen auf den Straßen ist nicht viel los. Der Rathausplatz liegt in tiefer Dunkelheit, durch die Fuzo ziehen ein paar angetrunkene Jugendliche
und gießen sich gegenseitig Bier über den Kopf. Ein weißer Golf rast über den City-Ring, aus dem Fenster weht die schwarz-rot-goldene Fahne. Gleich dahinter folgt ein klappriger BMW mit
DDR-Kennzeichen, ebenso schnell und noch lauter – Deutschland gibt Gas.
Keiner will Willy: In der Eckkneipe geht’s rund. Die Uhr zeigt 23.30 Uhr. Alle Tische sind besetzt, Stimmen schwirren durch die verräucherte
Luft. Auch hier ist der Fernseher ausgeschaltet. „Die Leute wolle keine Reden hören“, sagt der Wirt hinter dem Zapfhahn. Dann drückt er doch die Fernbedienung. Willy Brandt erscheint und gibt ein
Interview. Keiner schaut hin, und Brandts Worte werden mühelos von der Stereoanlage übertönt: Hello, Mary Lou.
Doch dann, fünf Minuten vor zwölf kommt auch die deutsche Vereinigung zu ihrem Recht. Ein paar Gäste blasen schwarze, rote und goldene
Luftballons auf – die meisten platzen im Gedränge. Trotzdem: Es ist Mitternacht, jetzt wird gefeiert. Draußen sausen ein paar Böller durch die Luft, auf dem Bildschirm wird die Einheit perfekt
gemacht. „Hipp-hipp“, ruft er laut, „hurra“, antworten seine Gäste. Dann wird die Nationalhymne angestimmt, die dritte Strophe, blühe, deutsches Vaterland.Ein Mann nutzt die Gelegenheit, um
seinen Freund anzurufen: Gleich soll es Freibier geben. Gibt es auch: Der Wirt shmießt eine Runde. „Sind eigentlich DDR-Leute hier?“, fragt eine Frau. Sie sucht vergebens. Niemand da, den man
umarmen kann.
Alles schon abgefeiert: Auch in der Diskothek, ein paar Ecken weiter, sind keine Gäste aus der nunmehr ehemaligen DDR da. Und wenn, würd's
vermutlich niemand merken. Die Musik hämmert, die Tanzfläche ist voll, wer will sich jetzt über Politik unterhalten? „Das haben wir doch schon alles im vergangenen November abgefeiert?“, sagt ein
Mädchen. „Wozu denn jetzt noch den großen Hermann machen?“ 1.30 Uhr. Die Straßen sind bis auf ein paar Spätheimkehrer menschenleer. Der Wind pfeift um die Ecken und wirbelt ein paar zerknüllte
Zeitungen über den Bürgersteig. Auf einer steht, schwarz-rot-gold unterlegt: „Glück und Segen, Deutschland.“
Der 25. Jahrestag der deutschen Wiedervereinigung wird groß gefeiert: Die zentralen Feierlichkeiten finden vom 2. bis 4. Oktober in Frankfurt am Main statt, da Hessen den Vorsitz im Bundesrat hat. Es wird auf dem Römerberg, dem Paulsplatz, der Zeil und am Main als großes Brgerfest gefeiert. es werden eine Million Besucher erwartet.
Und die internationale Metropole Frankfurt am Main versteht sich nicht nur als
„Wiege der deutschen Demokratie“, sondern auch als Schmelztiegel der Nationen, der beispielhaft ist für das Zusammenwachsen Europas.
Im letzten Jahr gehörte auf Vorschlag des Wolfsburger Stadtsportbundes (SSB) Michael Meixner vom CVJM Wolfsburg zur Delegation des LandesSportBundes (LSB)
Niedersachsen bei den Einheitsfeiern am Maschsee in der Landeshauptstadt. Über drei Tage nahm er an den Feierlichkeiten teil und traf gemeinsam mit LSB-Präsidenten Professor Dr. Wolf-Rüdiger
Umbach und LSB-Vorstandsvorsitzenden Reinhard Rawe auch Niedersachsen Innen- und Sportminister Boris Pistorius. Höhepunkt für ihn war das Treffen mit Bundespräsident Joahim Gauck und
Ministerpräsident Stephan Weil. "Ein unvergessliches und herausragendes Erlebnis", berichtete Michael Meixner, der sich besonders in der Weltdienstarbeit und im Sozialsport engagiert. "Ich war
sehr beeindruckt und möchte allen danken, die mir diesen Besuch ermöglicht haben", so Michael Meixner.